Verletzlichkeit

Verletzlichkeit – meine wichtigste Beziehungserfahrung

Als mich mein Bloggerkollege Nils Terborg vor kurzem anschrieb und mir von der Blogparade zum Thema „Meine wichtigste Beziehungserfahrung“ berichtete, war ich sofort Feuer und Flamme.

Ich hatte schon lange vor, auch mal etwas über das Thema Beziehungen zu schreiben – jetzt ist es endlich soweit.

Wir schreiben das Jahr 2002. Ich erinnere mich noch genau daran, wie mir meine damalige Freundin ins Gesicht schmetterte, dass sie im Urlaub mit irgend so einem Barkeeper geflirtet hat und dieses Statement noch mit einem „…und es hat mir sehr gut gefallen“ krönte.

Schlagartig wusste ich nicht mehr, wo vorne und hinten war. In meinem Kopf drehte sich alles und ich musste mich kurz sammeln.

Ich würde das Gefühl von damals noch nicht einmal als Eifersucht bezeichnen. Es war einfach nur ein riesiges, undefinierbares Chaos. Ich war schlicht überfordert mit der Situation und unglaublich unsicher.

Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf:

  • Würde sie mich jetzt verlassen?
  • Liebt sie mich nicht mehr?
  • Ist da mehr gelaufen?
  • Fehlt ihr irgendwas?

Zwischen dieser Tirade an diffusem Allerlei wusste ich Eines ganz genau: meine Freundin darf unter keinen Umständen mitbekommen, was da gerade bei mir abläuft.

Ein „Ja, ist schon okay.“ war deshalb auch das Einzige, was ich zu stammeln im Stande war.

Meine Freundin guckte mich unglaublich entgeistert an und verstand die Welt nicht mehr.

Kein Wunder, ich verstand die Welt ja erst recht nicht.

Wieso hatte ich gerade das genaue Gegenteil von dem gesagt, was ich eigentlich spürte – wieso war ich nicht ehrlich über mein Gefühlschaos?

Woran ich mich heute immer noch sehr deutlich erinnere ist, wie sich in diesem Moment das Gefühl einer unsichtbaren Wand zwischen mir und meiner Freundin einstellte – nur konnte ich das damals so noch nicht in Worte fassen.

Unsere Verbindung wurde geschwächt.

Der emotionale Schutzwall

Heute weiß ich: Ich hatte damals einen emotionalen Schutzwall um mich errichtet.

Dieser Schutzwall hielt zuverlässig alles ab, was meinem Inneren zu nahe kam.

Deshalb habe ich krampfhaft versucht, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

Das emotionale Risiko war damals zu groß für mich. Ich hatte Angst, als schwach dazustehen oder vielleicht sogar von ihr verlassen zu werden, wenn ich ihr die Wahrheit sagen würde.

Kurz: Ich hatte Angst, wieder verletzt zu werden – so wie es mir kurz vor meiner damaligen Beziehung einige Male in Bezug auf Frauen passiert war.

Genau um dieses Thema soll es heute gehen: Verletzlichkeit in Beziehungen.

Es gibt hunderte Möglichkeiten, wie wir Menschen uns vor Verletzungen in Beziehungen schützen.

Wir errichten beispielsweise im Äußeren scheinbar undurchdringbare Barrieren, so dass niemand, manchmal noch nicht einmal wir selbst, zu unserem Inneren vordringen kann.

Eines haben all diese Möglichkeiten jedoch gemeinsam: sie ersticken jede Intimität und Nähe in einer Beziehung direkt im Keim.

Doch auch wenn wir noch so viele scheinbar undurchdringbare Barrieren aufbauen, am Ende gibt es niemals eine Lösung, die dazu führt, nie mehr im Leben verletzt zu werden.

Die einzige Chance, besser mit Verletzungen umzugehen und gleichzeitig eine größere Tiefe in der Beziehung zu entwicken, ist es, uns zu öffnen und einen anderen Umgang mit Verletzlichkeit und Zurückweisung zu entwickeln. Loslassen zu lernen.

Wie das geht, erfährst du in diesem Artikel.

Verletzlichkeit und radikale Offenheit in einer Beziehung

Eine erfüllende Beziehung, geprägt von Nähe und Vertrauen kann nur dann entstehen, wenn ich bereit bin, mich verletzlich zu machen.

  • Wenn ich ehrlich kommuniziere, wie es mir geht.
  • Wenn ich sage, wenn mich etwas stört.
  • Wenn ich zu meinen Ängsten und Unsicherheiten stehe.
  • Wenn ich meine tiefsten Bedürfnisse und Wünsche kommuniziere.

Nur dann, wenn ich komplett offen bin, kann mein Partner wirklich erkennen, wer ich bin. Ansonsten schaut er nur auf meine Schutzmauer und nicht dahinter.

Wer weiß was passiert wäre, wenn ich meiner Freundin damals genau gezeigt hätte, wie es mir geht.

Wenn ich sie hinter meinen Schutzwall hätte schauen lassen und mich so verletzlich gemacht hätte.

Wenn ich ehrlich über meine inneren Vorgänge gewesen wäre.

Wenn ich meine Unsicherheit offen kommuniziert hätte und zu meinen Gefühlen gestanden hätte.

Klar, sie hätte mich als schwach ansehen und verlassen können. Das Risiko besteht immer. Auch hätte sie mit dem verdammten Barkeeper durchbrennen können.

Aber genauso gut hätte sie auch sehen können, dass ich zu mir und meinen Gefühlen stehe. Vielleicht hätte sie gesehen, dass sie mir vertrauen kann. Weil ich immer ehrlich sage, wie es mir geht.

Vor allem aber hätte sie meinem wahren Wesen um einiges näher kommen können.

So hätte unsere Beziehung unglaublich an Tiefe gewinnen können.

Die große Angst vor Verletzlichkeit

Sich verletzlich zu zeigen bedeutet übrigens in keinem Fall, dass wir uns alles Gefallen lassen und jede sich bietende Verletzung mitnehmen.

Es bedeutet vielmehr, vollkommen ehrlich zu kommunzieren, wie wir uns fühlen.

Sich so zu öffnen bringt Verletzlichkeit mit sich, denn wir setzen uns so der „Gefahr“ aus, unser echtes, wahres Inneres könnte zurückgewiesen werden – nicht nur unsere Fassade.

Alleine der Gedanke daran klingt nicht gerade wie eine Einladung zum Wellnessurlaub im Fünf-Sterne-Hotel. Wir alle haben da eine Heidenangst vor – und das ist auch ganz normal und gut so.

Sich selbst schützen zu wollen ist das natürlichste auf der Welt.

Nur schützen wir uns teilweise viel zu sehr.

Ich bin mir sicher, bei jedem von uns ist in der Vergangenheit irgend ein Kack passiert, der uns dazu bringt, dichtzumachen.

Nur ist diese Situation vorbei. Die automatische Schutzreaktion haben wir aber dummerweise mitgenommen und schaden so uns und unseren Beziehungen zu anderen Menschen.

Verletzlichkeit ist keine Schwäche

Verletzlichkeit wird von vielen Menschen mit Schwäche assoziiert. Doch bedeutet sie in Wahrheit Stärke.

Denn nur jemand, der innerlich stark ist und davon überzeugt ist, ein wertvoller Mensch zu sein, der zu sich steht und sich akzeptiert, kann sich so öffnen.

Aber keine Panik…

Wenn du dich jetzt nicht als solch einen Menschen bezeichnen würdest, dann ist der Weg durch die Verletzlichkeit für dich die Möglichkeit, ein höheres Selbstwertgefühl aufzubauen und gleichzeitig die Beziehung zu deinem Partner zu vertiefen.

Selbstakzeptanz die Grundlage von Verletzlichkeit

Möchten wir mehr in die Tiefe gehen, so ist die Voraussetzung für diese radikale Offenheit und Verletzlichkeit Selbstakzeptanz.
Deine Beziehung zu dir selbst ist die Grundlage. Nichts ist für eine gesunde und offene Beziehung zu einem anderen Menschen wertvoller, als bedingungslose Selbstliebe und Selbstakzeptanz.

Wenn wir in der Lage sind, zu all unseren Gefühlen, Charaktereigenschaften und auch Verhaltensweisen „Ja“ zu sagen, dann haben wir keine Angst mehr, sie zu zeigen. Was wir an uns akzeptieren, können wir ohne Bedenken zeigen.

Anstatt uns abzukapseln und emotional dicht zu machen können wir jetzt da bleiben, offen bleiben, die Gefühle spüren und annehmen, gegenwärtig bleiben so die Verbindung aufrecht erhalten, anstatt abzuwürgen und die gläserne Mauer entstehen lassen.

Wenn wir lernen, in der Situation zu bleiben, anstatt wegzulaufen, dann öffnet sich uns das volle Leben.

Die entscheidenden 10 Minuten

Es geht dabei immer wieder um diese entscheidenden Momente. Die Momente, an denen du an der Weggabelung stehst und dich für einen Weg entscheiden musst.

    • Nehme ich den Weg der Verletzlichkeit – riskiere ich was?

Oder nehme ich den Weg des geringsten Widerstandes und zeige nur meine unangreifbare Fassade?

Versteh mich hier nicht falsch. Es ist ganz natürlich und menschlich, den zweiten Weg einzuschlagen. Keiner hat es gerne, Gefühle von Zurückweisung oder Angst zu riskieren.

Doch risikieren wir so eine Beziehung an der Oberfläche.

Du kannst hier ganz klein anfangen. Finde Situationen heraus, in denen du dich in deiner Beziehung zurücknimmst, aus Angst verletzt zu werden. Dann handle bewusst mit Verletzlichkeit.

  • Sage es, wenn dich etwas nervt.
  • Lass dein Partner an deinen Gefühlen teilhaben.

So wirst du immer besser darin werden und es wird auch deine Bereitschaft steigen, dich gegenüber deinem Partner verletzlich zu machen. Du merkst jedes Mal etwas mehr, dass es eigentlich gar nicht so schlimm ist, wie du es dir immer vorstellst.

Dadurch entsteht eine positive Spirale nach oben.

Du machst dich bewusst verletzlich und lernst so, dich immer besser zu akzeptieren. Je mehr Dinge du an dir akzeptierst, desto größer ist deine Bereitschaft, dich verletzlich zu machen.

Das hat so viel mehr Nähe, Ehrlichkeit, Vertrauen, Offenheit und Verbundenheit in meine Beziehungen gebracht.

Also: Mehr Mut zur Verletzlichkeit, bitteschön

Lasst uns den Mut haben, um unsere Wünsche offener zu kommunizieren und dadurch unsere Beziehungen mehr Tiefe zu geben.

Lasst uns zu unseren Schwächen und Unsicherheiten stehen und sie offen zeigen.

Lasst uns mutig sein und jedes Gefühl authentisch ausdrücken.

Lasst uns den Mut haben, die gläsernen Mauern zwischen uns und unserem Partnern einzureißen und wieder mehr in Verbindung zu treten.

Mir ist es inzwischen viel lieber, verletzt zu werden, anstatt eine Maske aufzusetzen.

Dann passiert es halt – fuck it. So ein Leben ist für mich aber tausend Mal erfüllender, als immer nur an der Oberfläche zu kratzen.

Wieso warten wir immer nur darauf, bis der andere den ersten Schritt macht? Lasst uns verletzlich sein und es selbst tun. Warten wir nicht länger um jemandem deutlich zu zeigen, dass wir ihn attraktiv finden. Lasst uns zuerst „ich liebe dich“ sagen.

Mach dich auf den Weg, es lohnt sich.

blogger-packen-aus_Logo-300x200An der Blogger-packen-aus-Blogparade haben noch eine ganze Menge weiterer, wunderbarer und vor allem sehr lesenswerter Blogger teilgenommen!

Weitere Artikel zum Thema „Meine wichtigste Beziehungserfahrung“ findest du hier:

12 Kommentare
  1. Melanie Mittermaier
    Melanie Mittermaier sagte:

    Hi Tim,

    oh ja, lieber knalle ich mein Herz tausendmal auf den Tisch, auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden.
    Wir können uns doch sowieso nicht davor schützen. Angeblich bereuen Sterbende, dass sie nicht den Mut hatten, ihre Gefühle auszudrücken. Das will ich mir später mal nicht vorwerfen :-).

    Herzlichst
    Melanie

    Antworten
    • Tim Hamer
      Tim Hamer sagte:

      Hey Melanie,

      genau diesen Satz hatte ich auch im Hinterkopf als ich den Artikel geschrieben habe.

      Das beste ist: Mit der Zeit wird es immer leichter und gibt sogar echt gute Gefühle!

      Also nur Mut an alle!

      Antworten
  2. Nils Terborg
    Nils Terborg sagte:

    Heyy Tim,

    wow, da bist du aber tief in das Thema eingestiegen…gefällt mir gut! :-)
    Ich glaube, dass das für viele Menschen die schwierigste Hürde überhaupt ist:

    Offen und ehrlich mit Schwächen, Ängsten und anderen Gefühlen umzugehen!

    LG, Nils

    Antworten
  3. Katharinasophie
    Katharinasophie sagte:

    Hallo Tim, bin momentan im selben Moment wie du damals mit deiner Freundin, habe leider auch gegen mein Bedürfnis gehandelt und eine Woche später plötzlich diese Schutzmauer zw mir und meinem Partner, da ich das eigentlich nicht möchte sonder die Zukunft mit ihm verbringen möchte, meine Frage, wenn ich Jz an mir arbeite an meiner selbstakzeptanz und Selbstwert, werde ich wieder zu 100% zu ihm finden ? Kann man dir mal privat auch schreiben ? Lg

    Antworten
  4. Anke
    Anke sagte:

    Hallo Tim, das ist ja vor allem in den Anfängen einer Beziehung ein wichtiges Thema meine ich. Was ist jedoch, wenn ich nach jahrelanger Beziehung nur noch die negativen, grüblerischen Gedanken mitgeteilt bekomme (z.B. Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst um das eigene Haus, Überforderung mit dem Hausumbau etc..) und ich kann meinem Partner hier nicht die Angst nehmen. Es sind ja seine Ansichten und Gedanken aber ich komme damit nicht klar, da sich einige Dinge nicht lösen/voraussagen lassen – da sie ja noch teils gar nicht eingetroffen sind! Wie geht man damit um?!
    VG Anke

    Antworten

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