Selbstannahme

Selbstannahme: Die wichtigste Grundlage für Veränderung

Viele Menschen kritisieren heute ständig an sich herum. Ihren Erfolgen messen sie weit weniger Bedeutung zu, als ihren Niederlagen. Ihre Errungenschaften sind nicht der Rede wert, ihre Niederlagen bedeuten das Ende der Welt.

Genauso hassen sie ihre negativen Eigenschaften wie die Pest, während sie den positiven kaum Beachtung schenken. Sie sehen sich in einem denkbar schlechten Licht – und oftmals besteht dazu nicht die geringste Notwendigkeit.

Sie erlauben sich nicht, bestimmte Gefühle zu spüren und führen dann einen Feldzug gegen sich selbst, wenn sie doch einmal auftauchen.

Jeder Mensch hat Dinge an sich, mit denen er unzufrieden ist. Doch ist das kein Grund, sich selbst zu verteufeln.

Denn wir können uns genauso gut auch selbst annehmen. Wir können akzeptieren, dass wir so sind, wie wir sind. Wir können erkennen, dass die meisten dieser Eigenschaften nichts über uns als Person aussagen.

Wenn ich über Selbstannahme spreche, dann wenden die meisten Menschen direkt ein, dass sie, würden sie sich selbst akzeptieren, ab sofort nur noch faul auf dem Sofa herumhängen und nichts mehr tun würden.

Wären sie vollkommen zufrieden mit sich, so fürchten sie, dann ginge ihnen jeglicher Antrieb aus und sie würden nur noch so vor sich hinvegetieren.

Selbstannahme – die Grundlage jeglicher Veränderung

Doch ist das bei weitem nicht, was Selbannahme beudetet. Denn in Wahrheit ist Selbstannahme die Grundlage jeglicher Veränderung.

Sind wir unzufrieden mit uns, dann rührt unser Entwicklungswunsch aus einem Mangelgefühl heraus. Wir sind überzeugt davon, dass uns etwas fehlt. Wir fühlen uns dann wie eine defekte Maschine, die erst repariert werden muss, bevor sie einwandtfrei ihren Dienst erfüllen kann.

Unweigerlich führt solch eine Einstellung dazu, dass wir uns im Kreis drehen. Wir strampeln, wir arbeiten hart, wir rackern uns ab, nur für dieses kurze Glücksgefühl des Erfolgs. Wir können uns nur unter ganz bestimmten Umständen gut und wertvoll fühlen.

Ich nenne dieses kurze, flüchtige Gefühl den häßlichen Zwilling wahrer Selbstannahme. Denn dieses Gefühl, welches wir mit enormer Anstrengung und unter großen Schwierigkeiten hinterherjagen, können wir problemlos jeden Tag in unseren Leben spüren.

Es ist die ganze Zeit vorhanden. Nur sehen wir es nicht, weil wir davon überzeugt sind, Anforderungen erfüllen zu müssen, um es fühlen zu dürfen.

  • Julia braucht einen straffen Bauch und ein teures Outfit, um sich selbst akzeptieren zu können.
  • Ben braucht einen Beruf mit Prestige und muss jeden Tag Topleistung bringen, um dieses Gefühl spüren zu können.

Dieses entspannte, wohlige und wertschätzende Gefühl ihnen selbst gegenüber. Das Gefühl, das sich so gut anfühlt, dass sie all diese Strapazen auf sich nehmen und das dann doch nur so kurz bei ihnen bleibt.

Doch wieso stellen sich beide mannshohe Hürden in den Weg? Wieso erlauben sie sich nicht, dass dieses Gefühl ihr ständiger Begleiter ist?

Die Ursachen mangelnder Selbstannahme

Die Gründe dafür sind vielfältig und hochgradig individuell. Doch spielt sicherlich unsere gesellschaftliche Konditionierung eine wesentliche Rolle.

Schon in der Schule werden wir für bestimmte Charaktereigenschaften belohnt, für andere getadelt.

Wir lernen extrem früh, dass wir nur Lob bekommen, wenn wir vorher eine gute Leistung erbracht haben.

Ansonsten werden wir im besten Fall ignoriert, im schlimmsten gibt es einen Einlauf der sich gewaschen hat. Doch welches Signal wird damit an das Unterbewusstsein eines Heranwachsenden gesendet?

Die fast einzig mögliche Schlussfolgerung lautet: „Ich bin nur etwas wert, wenn ich etwas leiste.“

In anderen Umgebungen können natürlich andere Rückschlüsse gezogen werden, doch tendentiell läuft es immer nach dem gleichen Muster ab.

„Du bist nur etwas wert und bekommst Lob und Zuneigung, wenn du artig/ hübsch/ niedlich/ still/ sportlich/ fleißig/erfolgreich bist.“

Dieses Muster beginnt in der Schul- Ausbildungs- und Unizeit und zieht sich, verstärkt noch von Werbung mit glücklichen, erfolgreichen und schönen Menschen die das perfekte Leben leben, bis ins Berufsleben durch.

Unser ideales Selbstbild

Überall herrschen Normen, überall herrscht enormer Druck, diesen entsprechen zu müssen. Wir lernen von Kindesbeinen an, uns ständig zu fragen, ob wir gerade in der Norm liegen, oder nicht.

Viele Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens immer strengere und striktere Normen. Um sich selbst akzeptieren zu können müssen sie mittlerweile einen Anforderungskatalog erfüllen, der jedes Telefonbuch vor Neid erblassen lassen würde.

Um dieses Gefühle zulassen uns selbst gebenüber häufiger und vor allem ohne großen Aufwand in unser Leben einzuladen, können wir Seite für Seite aus diesem Telefonbuch herausreißen.

So entwickelt es sich zu von einem ausgewachsenen Telefonbuch, zu einem Taschenbuch, zu einem kleinen Notzibuch zu einem kleinen Post-It, auf dem „du bist genug“ steht.

Zurück zum Anfang. Zurück zu der Angst, an Antrieb und Motivation zu verlieren, wenn wir uns in Selbstakzeptanz üben.

Gary van Warmerdam, Autor des Buches „Mind Works“ vergleicht diese übertriebene Angst besiegen mit einem platten Autoreifen. Stell dir vor, du willst Morgens zur Arbeit fahren und bemerkst, dass der Reifen deines Autos platt ist.

Das ist eine ärgerliche Situation. Vielleicht ist es gerade heute besonders kalt oder du musst just an diesem Morgen eine wichtige Präsententation halten.

Doch wieviel Luft würde ausschließlich dadurch wieder in den Reifen gepumpt werden, wenn du zehn Minuten über den „dummen Reifen“ schimpfst und ihn fragst „was er sich dabei überhaupt gedacht hat und fragst, wie man einfach so platt sein kann“.

Nicht sehr viel.

Außer unsere Energie sinnlos zu verbraten haben wir nichts erreicht. Energie, die wir gut und gerne zur Reparatur des Reifens hätten verwenden können.

Wir können erst wieder sicher zu Arbeit fahren, wenn wir akzeptieren, dass der Reifen platt ist und dann den Kofferraum öffnen, um das Rad auszutauschen.

Genauso sieht es auch mit unserem Selbstbild, unseren Glaubenssätzen, Gedanken oder Gefühlen aus. Solange wir uns innerlich wünschen, sie wären anders, als sie jetzt sind, wird sich nie etwas verändern.

Wir müssen uns nicht ständig darauf hinweisen, wie kaputt wir sind und was alles an uns repariert werden muss. Das wissen wir nämlich schon.

Auch müssen wir uns selbst nicht für unsere missliche Situation bemitleiden.

Erst, wenn wir den Punkt erreichen, an dem wir die Sachlage akzeptieren, können wir ins Handeln kommen und uns weiterentwickeln.

Einfach aufgeben?

Dabei bedeutet die Situation annehmen bei weitem nicht, dass wir aufgeben oder dass sich niemals etwas verändern wird.

Wir geben bei weitem nicht auf. Wir schaffen uns mit dieser Methode die optimalen Voraussetzungen für langfristige Veränderung.

Wir hören auf, Widerstand gegen uns selbst zu leisten und uns dafür fertigzumachen, dass wir nicht all unsere Gefühle und Gedanken in den nächsten fünf Minuten durch einen magischen Trick in den Griff bekommen werden.

Erst dadurch können wir wirklich einen Schritt nach vorne machen. Vorher nicht.

Ein hohes Level an Selbstannahme ist die notwendige Grundlage für nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung. Denn solange wir versuchen uns zu reparieren, drehen wir uns im Kreis. Dieses Unterfangen wird niemals enden. Wir werden immer weitere Unzulänglichkeiten finden und weiter für falsche Selbstakzeptanz rackern.

Selbstannahme

Selbstannahme bedeutet also, dass wir uns in diesem Moment genauso akzeptieren, wie wir sind. Es gibt in diesem Moment nichts an uns herumzudoktorn. Wir sind nun einmal so, wie wir sind.

Üben wir uns in Selbstakzeptanz, so erkennen wir, dass wir nicht das Problem an sich sind. Wir erkennen vielmehr, dass unsere bisherigen Erfahrungen im Leben und die daraus enstandenden Glaubenssätze bestimmte emotionale Reaktionen in uns auslösen – aber das sind emotionale Reaktionen – nicht wir selbst.

Wir nehmen die Beobachterrolle ein und sitzen still in Mitten des Sturmes unserer Gefühle und Gedanken. Solange wir sie beobachten und akzeptieren können, haben sie wenig Macht über uns.

Erst wenn wir sie komplett ernst nehmen und uns in sie hineinsteigern, wird es problematisch.

Wenn ihnen gestatten, unser Leben voll durch ihre Augen zu sehen, nur dann nehmen sie uns mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt.

All diese Erkenntnisse fußen auf der Annahme, dass wir als Menschen immer dem Bedürfnis folgen, uns gut zu fühlen. In diesem Bedürfnis liegen all unsere Handlungen begründet.

Das bedeutet, dass wir uns für keinen Glaubenssatz und auch für keine Tat in der Vergangenheit verurteilen können, weil es für uns in diesem Augenblick als beste Option aussah.

Auch wenn sich das hinterher relativ schnell aus Trugschluss herausgestellt hat – was wir getan haben war damals die einzige Möglichkeit, die wir gesehen haben, um uns gut zu fühlen.

Etwas abstrakter verhält es sich auch mit unseren Glaubenssätzen in der gleichen Art und Weise. Wenn wir schlecht über uns denken oder uns nicht mögen, dann war das damals die einzig mögliche Interpretation der Umstände, um weiterem Leid zu entkommen.

Also können wir zwar die Situation oder unsere Glaubenssätze als heute nicht mehr adäquat bewerten, niemals aber uns selbst. Denn wir sind immer genug und wir wollen immer nur das Beste für uns.

Die „richtigen“ Gründe für deinen Veränderungswillen

Wahre Veränderung kann nur funktionieren, wenn wir uns verändern, weil wir uns verändern wollen und nicht, weil wir denken sonst kein wertvoller Mensch zu sein.

Sobald wir uns aus dem Teufelskreis lösen, in dem sich lange Phasen der Anstrengung und Entbehrung mit kurzen Phasen der Selbstakzeptanz abwechseln, haben wir die Freiheit erlangt, Dinge nicht mehr für Anerkennung anzustreben. Anerkennung von uns selbst, oder auch von anderen.

Wenn wir uns selbst von dem Richter freisprechen, der uns an einem unerreichbaren und stark idealisierten Standard misst, dann hat er keine Macht mehr über uns.

Er hat mit seinen „du solltest….“ keine Chance mehr, bei uns für schlechte Gefühle zu sorgen.

Jetzt sind wir frei sein unsere Zeit mit Aktivitäten zu füllen, die wir aus Spaß an der Sache, nicht der Bestätigung wegen tun. Wir haben jetzt nicht mehr den Drang einen Job zu tun, den wir nicht mögen oder uns in die Jagd nach Statussymbolen oder der perfekten Wohnung/ Familie/ Sofagarnitur einzureihen weil wir wissen, dass wir auch so gut genug sind.

Freiheit und Authentizität

Außerdem erlangen wir die Freiheit, uns frei und authentisch so auszudrücken, wie wir uns gerade fühlen.

Wir haben diese Freiheit weil wir wissen, dass wir uns selbst akzeptieren, egal wie wir uns fühlen oder was wir denken.

Also brauchen wir auch keine Angst mehr vor der Meinung anderer Menschen zu haben. Denn wenn wir uns selbst akzeptieren können, dann brauchen wir uns nicht mehr an der Meinung anderer zu orientieren. Natürlich bin ich immer offen für Feedback und konstruktive Kritik, aber ich schließe nie von ihr auf mich als gesamte Person. Denn weil ich mich selbst akzeptieren kann, kann ich damit umgehen.

Ganz nebenbei denken die meisten Menschen bei weitem nicht so viel über uns, wie wir denken. Sie sind dazu viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Woher diese Angst in Wahrheit stammt ist, dass wir uns selbst nicht akzeptieren können – uns hunderte von Fehlern und Gefühlen vorwerfen – und dann felsenfest davon überzeugt sind, dass jeder andere Mensch uns ja genauso sehen muss.

Sobald wir unsere eigenen Fehler und unsere Selbstverurteilungen akzeptiert haben, entfällt die Sorge über die Meinung anderer Menschen.

6 Kommentare
  1. Anja
    Anja sagte:

    Ja, das ist so eine Sache mit der Selbstakzeptanz. Obwohl man es theoretisch weiß, ist es doch in der Praxis teilweise extrem schwer umzusetzen. Sich vollkommen akzeptieren, obwohl es Dinge gibt, die einem definitiv nicht gefallen. Ich denke mal, auch hier macht Übung den Meister.
    LG

    Antworten
    • Tim Hamer
      Tim Hamer sagte:

      Hey Anja,

      definitiv. Ich sehe es genauso, es ist ein Prozess. Akzeptieren wir, das wir uns noch nicht überall akzeptieren :P

      Antworten
  2. Jens Gantzel
    Jens Gantzel sagte:

    Selbstannahme ist ja manchmal auch die Kunst, sich einen Zacken aus der Krone zu brechen, ohne sich einen Zacken aus der Krone zu brechen:
    https://wuenschenwollentun.wordpress.com/2015/02/13/nicht-nur-die-revolution-frisst-ihre-kinder/
    und
    https://wuenschenwollentun.wordpress.com/2014/06/22/superman-superwoman-superchild/
    Ich hab mich eine ganze Zeitlang damit abgekämpft, so und so, aber halt nicht so zu sein… Und sehe diesen Prozess immer wieder bei Klient_inn_en…
    Und wie leicht es sich anfühlen kann, sich soweit angenommen zu haben, dass an den Selbstbildern nicht mehr so festgehalten werden muss. :-)

    Antworten
  3. Tim Hamer
    Tim Hamer sagte:

    Yap, es ist eine kleine Kunstform und definitiv ein Bereich für lebenslanges Wachstum und Lernen!

    Danke auch für die weiterführenden Links.

    Liebe Grüße

    Tim

    Antworten
  4. Ben Menges
    Ben Menges sagte:

    Hallo Tim,

    „Wir geben bei weitem nicht auf. Wir schaffen uns mit dieser Methode die optimalen Voraussetzungen für langfristige Veränderung.“

    Das ist GENAU der Punkt, den viele nicht verstehen. Akzeptieren heißt nicht aufgeben, sondern aufbrechen! Aufbrechen auf einen Weg, den man bewusst gehen kann weil man sich selbst akzeptieren kann.
    Das ist dann ein Weg, an dessen Ende ein Ziel steht, das einen nach vorne zieht. Ohne Akzeptanz ist es ein Weg bei dem man immer geschoben wird obwohl man das eigentlich gar nicht will.

    @Anja:
    Wie findest du Meditation? Ich merke immer, dass ich dadurch entspannter werde und in mir mehr Ruhe. Das finde ich macht es einfacher.

    Gruß,
    Ben

    Antworten
  5. Tim Hamer
    Tim Hamer sagte:

    Hey Ben,

    stimmt, das war für mich auch lange ein Mysterium, dieses Persönlichkeitsentwicklungs-Selbstakzeptanz Paradox.

    Als ich dann merkte, dass sich selbst so akzeptieren, wie man ist, keinen Stillstand bedeuten muss, machte es mir viele Sachen viel einfacher!

    Danke für den Kommentar!

    Liebe Grüße

    Tim

    Antworten

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